An Weihnachten und Neujahr wimmelt es in Irland vor Autos mit britischen Nummernschildern. Ihre Besitzer kommen nicht als Touristen, um das jährliche Winterhochwasser zu begutachten, sondern als Heimkehrer, um ihre Familien zu besuchen. Diese Iren, die in England oder Wales arbeiten, hatten dieses Jahr unterm Christbaum vor allem ein Thema: Wie sehr das Land sich in den vergangenen paar Jahren verändert hat. Leere Kirchenbänke, selbst an Weihnachten, Schwulenehe und ein offen homosexueller Regierungschef, dessen Vater aus Indien stammt.
Inzwischen wirke es, als sei Irland das moderne, dynamische Land, sagen die O'Expats, während Großbritannien sich seit dem Brexit-Referendum anfühle wie eine Totenfeier. Politisch gehe nur noch darum, wie schön das Empire einmal war und wie England möglichst bald wieder so werden könnte. Dass dieses Empire in der Kiste liegt und schon halb unter der Erde ist, werde einfach verdrängt. Und wirtschaftlich... nun, es reicht zu sagen, dass Irland derzeit eine der höchsten Wachstumsraten in Europa hat.
Ich wandere also leicht verstört durch Ballina, das uns nächstgelegene Städtchen. Modernität? Ich ziehe doch nicht an die verschlafene irische Westküste, um Dynamik zu erleben! Da dringt von hinter dem Baumarkt der Kriegsgesang von Indianern an mein Ohr. Laut singende Native Americans auf dem Kriegspfad in Irland – das Audiofile dazu ist hier – das wäre nun wirklich eine erstaunliche Veränderung. Die Reporterin pirscht sich also vorsichtig ans Geschehen heran und stellte fest: der Singsang ist der Kommentar des Auktionators auf dem Viehmarkt. Hier kommen Schafe und Rinder unter den Hammer. In der Arena steht ein Tier oder gleich eine kleine Herde, darum herum die Farmer in dicken Jacken, flache Kappen auf dem Kopf. Gesichter wie aus Holz geschnitzt, Frauen sind keine zu sehen. Winzige Gesten – ein vorgeschobenes Kinn, ein fast unmerkliches Nicken – reichen, um dem Versteigerer zu signalisieren, dass ein Bieter willig ist. Neu sind nur das Mikrofon, der Bildschirm, der Gewicht und Alter der Tiere anzeigt und die schweren Gummistiefel der Bauern. Sonst ist alles wie seit hundert Jahren. Ich überlasse die Herren ihren Geschäften und gehe ins Dorf. Es riecht noch immer nach Torffeuer, beim Bäcker gibt es Soda- und Kartoffelbrot und der Dialekt der Landfrauen auf dem Markt ist so unverständlich wie eh und je. Wachstumsraten? Gibt’s hier nur nach Weihnachten: im Hinblick auf den Bauchumfang. Das irische Wirtschaftswunder findet in Dublin und Cork statt, an der Westküste mag man es beschaulicher und ich kann nicht entdecken, dass sich daran was geändert hätte. Das ist Glück.
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