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  • AutorenbildBarbara Bierach

Alles ist Relativ. Besonders Im Garten

Sartre hat geschrieben: Die Hölle sind die anderen. Ich sage: Die Hölle ist der Löwenzahn. Ich buddle im Garten herum, mein Kreuz tut weh. Meine Hände sehen schlimm aus. Leicht geschwollen mit Schwielen und gerissenen Fingernägeln. Aber mit Verlusten muss man rechnen in einem Krieg und ich bin mitten in der jüngsten Schlacht gegen den Löwenzahn. Wenn ich die gelbe Pest nicht ausgrabe, bevor sie blüht und mittels Pusteblumen neue Pflanzen macht, habe ich verloren. Also her mit dem schweren Geschütz! In meinem Fall ein Spaten.

Leider gibt es auch Kollateralschäden: gerade habe ich versehentlich einen Regenwurm zweigeteilt. Die vordere Hälfte lebt weiter, tröste ich mich – und muss lachen über meine Schuldgefühle. Steaks und Schinken esse ich ohne darüber nachzudenken, aber ein halbierter Regenwurm treibt mir die Tränen in die Augen. Ethischer Relativismus – oder wie soll ich dieses irrationale Verhalten nennen? Wenn das Schwein geschlachtet wird, bin ich nicht dabei, also ist es okay; aber wenn sich der Regenwurm vor meinen Füßen windet, leide ich mit? Und wieso bringe ich die Schnecken, die im vergangenen Jahr meine komplette Dahlien-Zucht gefressen habe, nicht einfach um, sondern sammle sie in einem Eimer eine, trage sie auf die Pferdewiese und werfe sie da ins hohe Gras? Ganz schön gaga - und unfair den Schweinen gegenüber.

Es hilft ja nichts, im Garten ist alles relativ. Dem einen seine Nutzpflanze ist dem anderen sein Unkraut. Ich führe nämlich nicht nur den Löwenzahn-Krieg, sondern auch den Erdbeer-Feldzug. Irgendeiner meiner Vorgänger in diesem uralten Garten hat welche gepflanzt und dann sich selbst überlassen, nicht wissend, dass Erdbeeren die Weltherrschaft anstreben. Wladimir Putin mit seinen Träumen vom neo-russischen Imperium ist ein Waisenknabe im Vergleich zur gemeinen Erdbeere. Unterirdisch vernetzt breitet die sich überall aus und ist kaum noch loszuwerden. Von mir aus mögen Bauern die Biester hegen und pflegen, in meinen Augen sind sie Teufelszeug.

Auf meiner Liste stehen einige Pflanzen, die ich regelmäßig jäte. Die Akelei zum Beispiel. An sich ja wunderschön, aber ein Selbstaussäher und daher gibt es in meinem Garten hunderte Mini-Akeleien, die sich der Sonne entgegen recken. Gleiches gilt für Crocosmia, Fingerhut, Immergrün oder Frauenmantel. Manche Pflanzen reiße ich raus, andere bleiben stehen, je nach Lust und Laune. Gärtnern ist also gewissermaßen die Macht über Leben und Tod und daher wie Gott spielen - und ich frage mich, ob Religion im Garten erfunden worden ist? Die Aboriginals in Australien als Jäger und Sammler jedenfalls betreiben keinen Landbau und haben daher auch keine Götter.

Das Konzept von der Hölle ist der gleichen Logik zufolge beim Kampf gegen den Löwenzahn entwickelt worden.

Beim Gärtnern geht einem in der Tat so allerlei Unsinn durch den Kopf. Zum Beispiel die Frage, warum fast alles, was die Natur macht, wunderschön ist und so vieles, was Menschen produzieren, so unendlich hässlich?

Eines jedenfalls macht dir ein Garten unmissverständlich klar, Schönheit ist dem Wesen nach vergänglich. Heute Schnee, morgen Schneeglöckchen. Die Glockenblumen zelebrieren die erste Märzsonne, doch bereits im April vertrocknen sie und müssen den Windröschen weichen, die sich nun ihrerseits auf den großen Auftritt vorbereiten. Und nach weiteren vier Wochen sind auch sie abgemeldet, jetzt kommt schließlich die Zeit der Rosen und des Lavendels. Apropos Rosen – was gibt es Grandioseres als einem Strauss Rosen über Tage dabei zuzusehen, wie er erblüht, altert und dann Blatt für Blatt zerfällt? Ein Wunder der Vergänglichkeit und doch so luxuriös, opulent und würdevoll.

Wie die Rosen würde ich auch gerne altern. Stattdessen mache ich mir Sorgen um all die Falten. Da hilft nur ein Gang durch den Garten. Erneuerung bedeutet immer auch loslassen, nachgeben, den Dingen ihren Lauf lassen. Die Natur weiß schon, was sie tut.

In diesem Sinne stelle ich dann mal den Spaten weg und lasse den Löwenzahn Löwenzahn sein.


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