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  • AutorenbildBarbara Bierach

Kindergarten für Lämmer

Aus der Scheune dringen jämmerliche Geräusche. Eigentlich steht da nur ein alter Traktor und der hat sich bisher noch nie vernehmlich beschwert. Ein Blick übers Gatter zeigt: Unser Pächter Martin hat dort eine Schafsmutter mit ihren beiden Lämmern eingesperrt. Frau Mama will von den Zwillingen jedoch nichts wissen – und deswegen klagen die lautstark.

Ich kann die widerwillige Alte gut verstehen, denn Lämmchen boxen ihre Mutter keineswegs zartfühlend ins Euter, wenn sie hungrig sind. Eher wird mit dem ganzen Kopf und aller Kraft in Mutterns Bauch geboxt. Das regt offenbar den Milchfluss an – aber besonders angenehm kann das nicht sein. Ich wär bei so einer Behandlung auch auf der Flucht.

Martin hat derzeit aber schon acht Baby-Schäfchen in der Küche, die er und seine Frau mit der Flasche aufziehen müssen, weil deren Mütter verendet sind oder sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern wollen. Noch zwei neue Mitbewohner kann er nicht gebrauchen. Also hat er das Mutterschaf so eng fixiert, dass sie ihren Kindern nicht entkommen kann. Die Zwillinge können also trinken - und schlafen ein. Endlich Ruhe.

Einen Tag später haben sich die drei aneinander gewöhnt und dürfen zur Herde zurück. Die Zwillinge springen voller Lebensfreude herum und gründen alsbald mit den anderen Lämmern eine Gang, die nichts als Herumrennen, Angeben und Schubsen im Kopf hat. Die Mütter halten sich derweil im Hintergrund und futtern. Kurz: Es geht zu wie auf dem Spielplatz in Köln Müngersdorf.

Abends treibt Martin den ganzen Kindergarten in den Farmhof hinter dem Haus, wo er vor den Füchsen geschützt ist, die sich unter Umständen ein Neugeborenes greifen würden, wenn die Herde nicht auf einem Haufen zusammen gesperrt wäre, sondern über die Wiesen verteilt. Nähe bedeutet Schutz.

Richtig wohl ist mir bei der Sache nicht, denn Ostern droht und damit der Metzger. Die süßen Wollknäuel, die wie Wattewölkchen über die Wiesen rollen, werden dann zum Lammbraten und mir steht bei dem Gedanken das Wasser in den Augen. Fleisch hat eine andere Bedeutung, wenn man miterlebt, wie Lämmchen geboren und von ihrer Mutter sauber geleckt werden, wie sie nach ein paar Minuten versuchen, auf die Beine zu kommen. Wie sie unbeholfen herumwackeln und dann erschöpft von so viel Sport im Gras liegen und die Sonne genießen.

Auf dem Land zu leben, hat mir einen anderen Respekt gegeben, sowohl für Farmer wie Martin, der zur Not auch morgens um zwei aufsteht, um bei einem Schaf in Schwierigkeiten Geburtshilfe zu leisten als auch für das Lebensmittel Fleisch. Wir vergessen zu oft, dass Fleisch eben nicht aus dem Supermarkt stammt, sondern von unseren Salzwiesen. Und Mannomann, ein Lamm hat mindestens so viel Lebensfreude – und Unsinn im Kopf – wie ein junger Hund oder ein kleines Menschenkind.

Wers nicht glaubt, darf gerne im Februar oder März bei uns vorbeikommen, ein paar Waisen-Lämmer mit der Flasche aufziehen und sich selber überzeugen.


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