Igitt! Was ist das denn? Eine vertrocknete Ratte, platt wie eine Briefmarke. Die fällt uns beim Herausheben der Regale im Esszimmer entgegen. Wir müssen streichen und wollen die Böden abschleifen, daher muss alles raus. Alles, auch unsere Nager-Leiche im Schrank. Die letzte Renovierung war 1935, zumindest war dies das Datum, das wir neben der Unterschrift des Handwerkers unter dem alten Verputz gefunden habe. Ob der Ratten-Leichnam seit über 80 Jahren da gelegen hat? Ich werde gerade nostalgisch, da wandert Gigi vorbei, unsere Katze – und ich könnte schwören, dass sie grinst.
Die ganze Renovierung wurde überhaupt nur nötig, weil Gigi einen Star ins Haus getragen hat. Offenbar wollte sie den Vogel stilecht im Esszimmer vertilgen – doch der Vogel lebte noch, entkam und flüchtete auf die Vorhangstange, von wo aus er sich dann unabwischbar über unsere Wände erleichterte. Die Ratte hatte wohl ein ähnliches Schicksal, nur dass sie sich hinter die Regale geflüchtet hat. Oh, die Freunden der Katzenliebhaber!
Während ich das hier schreibe, flätzt sich Gigi übrigens in meinem Bürostuhl, während ich auf einem harten Holzstuhl sitze und tippe. Alles, damit Madame es gemütlich und warm hat. Das Glöckchen, das sie normalerweise um den Hals hat, um die Vögel vor ihr zu warnen, ist auch schon wieder verschwunden, zusammen mit dem Halsband, an dem es hängt. Wie macht sie das bloß? Was immer ich ihr um den Hals winde, spätestens nach drei Wochen weiß Gigi, wie man es wieder los wird. Und so erwischt sie immer wieder einmal einen Vogel und wenn ich noch so laut mir ihr schimpfe. Inzwischen habe ich alle Futterstellen so hoch gehängt, dass ich auf eine Leiter steigen muss, um sie zu befüllen. Gigi sitzt darunter und lässt den Schwanz peitschen.
Diese Katze ist eine Mordmaschine und wenn sie mir aus meinem Bürostuhl zublinzelt, denkt sie vermutlich darüber nach, ob man mich fressen könnte, sollte es einmal eine Möglichkeit geben, mir den Garaus zu machen. Aber so lange ich den Kühlschrank aufkriege und einen Dosenöffner bedienen kann, bleiben ihre Killer-Fantasien theoretisch. Also kann ich ihr verzeihen, schließlich denke ich mir als Krimi-Autorin auch dauernd Morde aus, die ich nie ausführe.
Einmal jedoch könnte Gigi tatsächlich tätlich geworden sein. Ihr Bruder Hugo verschwand am 10. Oktober 2016. Ich vermute, sie hat ihn unter ein Auto gestoßen, denn seitdem er weg ist, gehört ihr Charlesfort ganz alleine, Bürostuhl und Kühlschrank inklusive. Zuvor hatte der sechs Kilo schwere Kater das Zepter fest in der Hand. Er fraß als erster und immer die besten Stücke und wenn ihm langweilig war, bekam Gigi eine Tracht Prügel. Hugo fand das amüsant, Gigi weniger; dass sie ihn loswerden wollte, verwundert mit nicht, doch ich habe Hugo sehr verehrt.
Halb Main Coon war er ein riesiges Wollknäuel und so gelassen wie siegreicher Rugbyplayer nach dem fünften Guinness. Lag er auf meinem Schoß, reichten seine Vordertatzen bis zu meinen Knöcheln, während das Fell seines Schwanzes mein Kinn kitzelte. Ein königliches Vieh. Manchmal, wenn wir beide alleine waren, sah er mir tief in die Augen und legte mir eine Tatze auf die Wange. Und ich sagte: „Ich liebe dich auch.“ Als er weg war, weinte ich tagelang und bis heute vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an ihn denke.
Gigi ist weder so emotional wie Hugo es war – es würde ihr beispielsweise nie einfallen, mir die Tatze ins Gesicht zu legen – und auch nicht so mutig. Hugo steckte seine Schnurrbarthaare in alles hinein, was ihn nichts anging. In Farbtöpfe, Abwasserrohre und in Sydney auch einmal in den Nachbarsgarten, wo zwei Riesenpudel Wache hielten und ihn prompt durch einen Brunnen und schließlich über ein Kliff jagten. Ich habe ihn schließlich 20 Meter tiefer wiedergefunden mit ausgerissenen Klauen, so hartnäckig hatte er versucht, das Kliff zu erklimmen, um wieder zu mir nach Hause zu kommen. Einfach über die Straße den Berg hoch und um das Kliff herum zu laufen, ist ihm dabei nicht eingefallen. Hirn hatte er nicht, mein feliner Rugbystar – aber was für ein Löwenherz!
Gigi dagegen ist vergleichsweise vorsichtig und hat daher noch ein paar ihrer neun Leben übrig, während Hugo seine in fünf Jahren aufgebraucht hat. Kommen Fremde, versteckt sie sich im Badschrank hinter dem Boiler. Sie zeigt mir ihre Zuneigung, indem sie mir tote Feldmäuse bringt. Vermutlich, weil ich als Jägerin ein Totalausfall bin und sie sicherstellen will, dass ich genug zu Fressen habe. Nach getaner Arbeit sitzt sie dann zufrieden auf dem Fensterbrett und überschaut die Farm, die nun ihr Reich ist und ihres allein.
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