In Irland hat es seit glorreichen drei Wochen nicht geregnet. Sogar hier an der Westküste erreicht das Thermometer 25 Grad. Was ist ein Bikini? und: Wo sind die Sandalen aus dem Spanischunterricht? sind die Fragen, die das Tagesgeschehen bestimmen. Tatsächlich ist ein hartnäckiges Hoch hier so ungewöhnlich, dass sich in die Begeisterung der Einheimischen inzwischen Sorge mischt: Wie gießt man einen Garten? Wird aus der grünen Insel jetzt eine braun vertrocknete? Muss das Touristenbüro die Kampagne anpassen? Und schlimmer noch: Ändert sich der Nationalcharakter? Denn wie historisch Interessierte wissen, hat sich das Blatt der Iren noch nie gewendet, weil gutes Wetter ausbrach. Vielmehr formten Stürme und Unwetter das Geschick der Insulaner, wie die neue „Cambridge History of Ireland“ erläutert. Vereinfacht lässt sich sagen: Nahezu alles, was in Irland etwas taugt, ist dem Regen geschuldet. Schon anno domini 540 gab es zehn sonnenlose Sommer hintereinander, vermutlich ausgelöst durch einen Vulkanausbruch anderswo. In diesem endlosen Winter wurden auf der ganzen Insel neue Klöster gebaut, die Irland zu einem Leuchtturm des Wissens, der Kultur und Bildung machten. Die unglaublich schön bemalten alten Manuskripte in der Library des Trinity College in Dublin sind heute noch stille Zeugen für die intellektuelle Produktivität, die schlechtes Wetter auslösen kann.
1315 kamen die Schotten über das Meer, um im irischen Kells die Engländer zu besiegen. Die Iren waren begeistert von dieser Idee und wollten Edward de Bruce, den Anführer der Schotten, eigentlich zu ihrem High King machen. Dann hat es allerdings zwei Jahre lang quasi ununterbrochen geregnet. Diese Klimakatastrophe brachte Edwards Feldzug zum Erliegen: Dieser frühe Versuch die gälische Selbstherrschaft wiederzuerlangen, ersoff im Schlamm. Ein Ergebnis war das Sprichwort, das es kein schlechtes Wetter gibt, sondern nur ungeeignete Kleidung. Ein weiteres die Entstehung des irischen Vielzweck-Mantels, über den der englische Dichter Edmund Spenser schrieb: „Er ist das Haus der Iren, ihr Zelt, ihr Sofa und ihr Schild. Im Sommer tragen sie ihn lose, im Winter wickeln sie sich darin ein.“ Die Engländer hatten nichts vergleichbar Intelligentes anzuziehen und daher oft schlechte Karten im Umgang mit den Iren. So scheiterten Elisabeth I Versuche, die aufmüpfigen Nachbarn endgültig zu unterwerfen, mehrfach am schlechten Wetter.
Ähnlich erging es der spanischen Armada. Die Briten wollen das nicht hören, aber die Stürme über Irland trugen mehr zum Sieg der Engländer über die Iberer bei als Walter Raleighs gesamte Flotte. Einige spanische Schiffe wurden danach hier bei uns um die Ecke an der Westküste an Land gespült. Bis heute haben viele Irinnen rabenschwarzes Haar, was der Legende nach auf die Latin Lovers und ihr genetisches Material zurückgehen soll.
1688 dann blies ein „von Gott gesandter protestantischer Wind“ den niederländischen Wilhelm von Oranien von Osten her auf den englischen Thron. Der selbe Wind, der den irischen Truppen ins Gesicht blies, die eigentlich nach England hinüber segeln wollten, um den katholischen King James zu unterstützen.
Hundert Jahre später wollte der irische Freiheitskämpfer Theobald Wolfe Tone die französische Revolution nach Irland tragen, en passant die Engländer besiegen und Irland als Brückenkopf nutzen, um nun seinerseits die Briten zu unterwerfen. Da saß er nun mit 15.000 Mann und ein paar Dutzend Schiffen in Brest und sah dem schlimmsten Winter in hundert Jahren dabei zu, wie er seine Schiffe zu Kleinholz zerschlug. Endlich – am Weihnachtstag 1796 – ließ der Sturm nach und was von Wolfe und seinen Männern übrig war, stach in See. Auf halbem Weg allerdings packte sie eine üble Flaute und der Eroberungsmut erschlaffte genauso wie die Segel am Mast. Damit starb der letzte vom europäischen Kontinent ausgehende Versuch, die Engländer aus Irland zu vertreiben.
Der aus deutscher Sicht wohl wichtigste Wetterbericht für Irland kam allerdings am 4. Juni 1944 aus Blacksod Bay im County Mayo. Postbote Ted Sweeney kabelte nach London und warnte vor einer Kaltfront über Irland mit Windstärke sieben. Hätte dieser Sturm die alliierten Truppen im Englischen Kanal erwischt, wäre der Krieg womöglich anders ausgegangen. Sweeney jedoch meldete sodann eine kurze Phase der meteorologischen Ruhe, General Eisenhower verlegte den D-Day um 24 Stunden und der Rest ist Geschichte – genau wie das Dritte Reich.
In Irland zu leben und sich über das Wetter zu beklagen, ist also nicht nur nutzlos, sondern auch unklug. So ertragen wir nun eben die paar Wochen Sommer, denn: der nächste Regen kommt bestimmt!
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