Seit 2004 bin ich aus Deutschland weg und zigeunere seither durch die Gegend. Sabbatjahr am Mittelmeer, Korrespondententage in New York und Sydney und nun Krimiautorin in Dromore West, Irland. Da hält man sich dann mal gerne für eine Weltbürgerin. Alles Quatsch. Ich bin so deutsch wie ein Wiener Würstchen. Was mir immer dann klar wird, wenn anderswo der Nationalismus ausbricht. Ich habe dann schwere Anfälle von Fremdschämen – was übrigens ein Wort ist, dass es meiner Kenntnis nach nur in der deutschen Sprache gibt. Jede Art von Nationalstolz ist mir unheimlich und peinlich. Fahnen jeglicher Couleur zu schwenken, finde ich degoutant. Typisch deutsch eben, wir schwenken nur, wenn Fußball ist.
Am 17. März war hier St. Patrick's Day, an dem sich die Iren grün in Schale werfen und ihr Land feiern. Dass die dazu gehörenden Paraden eine Erfindung der Amerikaner irischer Abstammung sind, stört dabei keinen. Wenn die US-Iren in Boston den Charles River zu Ehren der Esmerald Island mit Lebensmittelfarbe grün färben können, dann können wir zu Hause auch ein grünes Hütchen aufsetzen, uns als Leprechauns verkleiden und einen Jig tanzen. Guinness wird sowieso immer getrunken, dazu braucht es keine Parade.
Dieses Jahr allerdings war es mit St. Patrick's Day nicht getan, denn wir schreiben 2016.
Vor 100 Jahren fand in Dublin das so genannte Easter Rising statt, einer von vielen Versuchen, die britischen Kolonialmacht loszuwerden. Die meisten Bürger in Dublin reagierten jedoch eher genervt auf den Osteraufstand gegen die Krone, denn Rebellionen haben die unangenehme Eigenschaft, den Verkehr zum Erliegen zu bringen und gutbürgerliche Architektur zu Klump zu schießen. Im konkreten Fall das gerade erst renovierte Hauptpostamt. Die Stimmung der irischen Paddy Normalbürger wandelte sich erst, als die Briten anfingen, die 15 Anführer des Aufstands ohne großes Federlesen oder ziviles Gerichtsverfahren hinzurichten. Weitere 3000 Leute wurden verhaftet und in Wales interniert.
Obwohl militärisch eine katastrophale Niederlage, gilt der Osteraufstand doch als der Anfang vom Ende der britischen Herrschaft. Belfast und Northern Ireland sind noch immer britisch, doch seit 1921 ist immerhin die Republic of Ireland mit der Hauptstadt Dublin unabhängig. Der Osteraufstand steht jedoch auch für den Anfang des Bürgerkriegs, für Gewaltbereitschaft und IRA … und einige Iren – nicht zuletzt die protestantische Minderheit – fürchtete vor der Hundertjahrfeier, dass vor allem die alten Animositäten zwischen Anglo-Iren und Katholiken wieder hoch kochen.
Aber weit gefehlt. Der Festakt war eine zweite St. Patrick's Day-Parade. Alles in grün und eher fröhlich. Geregnet hat es auch, wie immer. Irgendwer hat eine neue Oper zum Anlass komponiert und in allen Theatern wird Sean O´Casey gespielt. Und wenn nicht der, dann Beckett.
Inzwischen ist alles wieder auf Normalnull, das Leben geht weiter. No big deal. Faksimiles der Proklamation der 1916-Anführer wurden an alle Schulkinder verteilt und erinnern daran, dass Irlands Führer schon vor 100 Jahren gleichberechtigt von irischen Männern und Frauen sprachen und alle Kinder des Landes frei sehen wollen, egal welche Farbe oder Religion sie haben.
Ich finde, das kann man getrost feiern. Nationalstolz irischer Art ist erträglich, auch wenn man deutsch und daher leicht geschädigt ist. Besonders bei einem ordentlichen Glas Whiskey. Sláinte!
Comments