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AutorenbildBarbara Bierach

Wanderlust

Als ich mir die grüne Schürze über den Kopf ziehe, brandet spontan Applaus auf. Nun prangt auf meiner Brust das Logo „Country Market Beltra“, was den Rest der Crew sehr zu freuen scheint. Dass ausgerechnet mir mal einer für hausfrauliches Wirken zujubelt, grenzt an ein Wunder.

Wenn mir einer vor zehn Jahren erzählt hätte, dass ich einmal an der irischen Westküste Mitglied des lokalen Bauernmarktes werde und dort meinen eigenen Honig verkaufe, hätte ich laut gelacht. Und nun habe ich Küchendienst im Tearoom von besagtem Markt und serviere Apple Pie und Scones, als hätte ich nie was anderes getan. Daher die grüne Schürze.

Hätte mir vor 20 Jahren einer gesagt, dass ich mal in Australien leben würde und meine eigenen Stahlkappenschuhe und einen Schutzhelm besitzen würde, damit ich mir beim Berichten über den Rohstoffboom in den Gold- oder Kohleminen nicht immer getragenes Zeug von der Unternehmensführung ausleihen muss, hätte ich ihn für verrückt erklärt.

Und vor 30 Jahren hätte ich auch nicht geglaubt, dass ich mich mal erfolgreich bei der Wirtschaftswoche verdingen würde. Oder dass ich mal ein Jahr lang segeln gehen würde. Oder dass ich mal ein Buch über blöde Weiber schreiben würde, dass den weiblichen Teil meines Freundeskreises in feindliche Lager spaltet.

Inzwischen habe ich meine Lektion gelernt, ich mache keine Pläne mehr. Wer weiß schon, wo er in zehn Jahren sein und was er da machen wird? Sicherheit und Stabilität sind eine Illusion, es gibt immer nur das Jetzt, alles andere ist eine wackelige Konstruktion. Klar, ein Minimum an Vorsorge muss sein, vor allem finanzieller Natur, aber am Ende schmeißt einem das Leben Chancen und Herausforderungen in den Schoß, mit denen man umgehen muss.

Dabei gibt es Flieher und Kämpfer. Ich hab mich im Zweifelsfall immer für das Weiterziehen entschieden – und nun sitze ich auf diesem nassen Felsen im Nordatlantik in einem alten Haus, schreibe Krimis und züchte Bienen.

Der Preis dafür ist hoch. Die Kämpfer, die es vorziehen, den Großteil ihres Lebens an einem Ort oder in einem Job zu verbringen, haben es leichter, wenn es darum geht, Freundschaften zu pflegen, sich um ihre Familien zu kümmern oder viel Hausrat anzusammeln. Wanderlust macht gelegentlich ganz schön einsam. Und nach jedem Umzug ist irgendwas Wichtiges kaputt oder verschwunden.

Die Vorteile des Ausprobierens und Herumzigeunerns allerdings sind auch groß – ein anderes Land kapiert man nicht im Urlaub, sondern nur, wenn man eine Zeitlang wirklich dort lebt. Konversationsniveau in einer Fremdsprache erwirbt sich nur im täglichen Gebrauch. So gesehen habe ich viel gewonnen – wenn auch nicht durch den Verkauf von acht Gläsern Honig und 50 Tassen Tee.


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